Lost Places zu fotografieren ist eine faszinierende Abteilung in der Fotografie. Sinnbild für einen klassischen Lost Place sind zum Beispiel die Beelitz-Heilstätten südlich von Berlin, ein regelrechter Pilgerort für Freunde des Verfallenen. Im Oktober 2014 stand diese Location auch auf dem Programm – zwei Tage lang fotografierten wir in den alten Gemäuern, natürlich legal im Rahmen einer geführten Fototour.
Als kleines Training haben wir uns im Juli erstmal in heimischen Gefilden umgesehen und sind so zwangsläufig auf das Nürnberger Volksbad gestoßen, eigentlich gar kein Lost Place im klassischen Sinn mehr, denn das Volksbad kann über das Liegenschaftsamt der Stadt Nürnberg ganz offiziell gemietet werden. Von diesem Angebot wird rege Gebrauch gemacht, nahezu jedes Wochenende ist die Location ausgebucht. Und so machten sich 5 sog. Urbexer auf und ließen einen ganzen Tag lang die Kameras klicken, die meisten natürlich digital – aber auch die wiedererstarkten „Analogies“ waren vertreten. Das Ergebnis war eine gewaltige Fotoausbeute mit einer Vielzahl unterschiedlicher Blickwinkel, denn jeder Fotograf versuchte natürlich seine eigene Fotophilosophie umzusetzen. Ob analoger Schwarz-Weiß-Film oder digitale HDR-Fotografie, alles war mit an Bord.
Das Volksbad Nürnberg
Ursprung:
Römisch-Irische Dampfbäder waren die Saunen von einst, doch erst um das Jahr 1870 wurden in England Brause- und Wannenbäder geschaffen. Auch in Deutschland entstanden nach und nach öffentliche Einrichtungen dieser Art, um eine Reinigung des Körpers nach getaner Arbeit zu ermöglichen, z. B. in Hamburg und Frankfurt. Auch in Nürnberg wurden Möglichkeiten zum Baden und Duschen geschaffen, wie z.B. in den Zwingeranlagen des Handwerkerhofes und auch gegenüber des Johannisfriedhofes. Für zehn Pfennige konnten Seife und Handtuch erworben werden. Die Erkenntnis, wie wichtig Körperhygiene ist, erwachte und so wurde auch von medizinischer Seite die Forderung laut, Wannen- und Brausebäder zu schaffen.
In den Jahren 1860 bis 1916 entstanden viele Bäder; das Volksbad in Nürnberg allerdings relativ spät (Eröffnung am 02.01.1914 nach einer Bauzeit von 1910 – 1913). Auch in den Schulen (z. B. Knauerstraße) wurden für die Kinder Brauseeinrichtungen geschaffen.
Architektur:
Nachdem das Gaswerk nach Sandreuth umgezogen war, wurde das Gelände für den Bau des Volksbades frei. Zwischen die vorhandenen Gebäude passte der Architekt Küfner das Volksbad ein. Städtebauliche Dominanz zeigte ein hübscher Turm, der das Volksbad bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zierte. In der schmalen Front des Gebäudes befanden sich im Laufe der Zeit verschiedene Geschäfte. Links neben dem Eingang gab es einen Friseur, ein Hundebad und auch Wohnungen für Angestellte. Zur rechten waren eine Gaststätte, später das Fundbüro und heute ein Hemdendienst.
Im Inneren des Gebäudes befanden sich 68 Wannen- und 24 Brausebäder, die für die Dauer einer halben Stunde benutzt werden durften. Der benötigte Wasserdruck entstand im Wasserturm, das Wasser für die Wannen und Brausen wurde aus der Nähe des Fuchslochs bezogen.
Geschmückt mit dem Nürnberger Jungfrauenadler, der sich auch im Wappen der Stadt wiederfindet, ist das Portal des Nürnberger Volksbades und weist damit auf einen gewissen Stolz der Stadt hin. Die Haupthalle war ursprünglich im späten Jugendstil gebaut, heute ist die Bemalung nicht mehr original, allenfalls „bemüht“. Philipp Kittler, Bildhauer aus Schwabach, schuf die Köpfe in der Haupthalle.
Volksbäder heute:
Es gibt auch heute noch Volksbäder, wie z. B. das Müller’sche Volksbad in München, das nach wie vor als Schwimmbad genutzt wird. Auch in Zwickau wurde mit Aufbaugeldern Ost eines der ältesten Volksbäder renoviert.
Schwimmhallen im Nürnberger Volksbad:
Drei Schwimmhallen gab es, zwei für Männer, eine für Frauen; jede Halle war etwas anders gestaltet. Alle Schwimmbecken sind 12 m breit und zwischen 24 und 28 m lang.
- Rechts oben: Die Galerie in der Schwimmhalle für Männer bekam nach der Instandsetzung in den 1950er Jahren das für diese Zeit so typische „Scraffito“ in Form von Möwen und Robben verpasst.
- Links unten: Auch die Schwimmhalle für die weiblichen Badegäste, die kleinste der drei Hallen, erfuhr starke Veränderungen. So wurden hier noch in den 1980er Jahren Holzverkleidungen und eine Unterwasserbeleuchtung eingebaut und Hängeleuchten angebracht.
- Rechts hinten: Noch 1988 wurden in der Schwimmhalle für Männer Lampen erneuert und die Umkleidekabinen renoviert. Eine Besonderheit ist das Wasser speiende Pferdchen, ein Teilabguss des Neptunbrunnens, der zeitweise am Hauptmarkt stand und heute am Wöhrder Talübergang zu sehen ist. Das Kunstwerk aus Bronze ist dem jüdischen Stifter Gerngroß zu verdanken.
Besucherzahlen:
- 1948: 2.500 Besucher täglich (eine Halle fertig)
- 1952: 600.000 Besucher jährlich
- Ende der 1980er Jahre: 200.000 Besucher jährlich
Die wachsende Konkurrenz der Freizeitbäder „Palm Beach“ in Stein, „Atlantis“ in Herzogenaurach u. a. ließ die Besucherzahlen im Volksbad Nürnberg stark zurückgehen. Ab 1991 erfolgten nach und nach Teilschließungen verschiedener Bereiche, bis im September 1994 mit einer Stimme Mehrheit im Stadtrat das endgültige Aus für das Volksbad beschlossen und umgesetzt wurde.
Weiterentwicklung:
Pläne, einen Investor zu finden, der die Sanierung der völlig veralteten Technik in die Hand nehmen und mit der Entfernung aller Zwischenwände aus den einzelnen Schwimmhallen eine riesige Schwimmlandschaft entstehen lassen könnte, liefen ins Leere – mit 17,5 Mio. DM war die Investitionssumme zu hoch. Mit der Schlagzeile „Jugendstilperle sucht neue Fassung“ begann die Suche nach anderen Möglichkeiten der Nutzung. Ab 1994 erfuhr das Volksbad verschiedenste Zwischennutzungen (Techno-Disco, Erotikmessen) und mehr oder weniger originelle Ideen und Vorschläge wurden gemacht, so z. B., Kurbad, Reha-Klinik, Seniorenwohnanlage, Spaßbad, Fitness-/Wellness-Center, Arabisches Museum, …
Die Stadt Nürnberg zahlte damals 200.000 DM pro Jahr für den Unterhalt des Volksbades und weigerte sich trotzdem, zinsgünstige Kredite oder Steuergelder zur Verfügung zu stellen.
Förderverein:
Schon bald nach der Schließung gründete sich ein Förderverein, dem jedoch nach vielen Versprechungen schnell der lange Atem ausging. Auch wenn die Nassnutzung immer unwahrscheinlicher wird, so will doch der neu gegründete Förderverein das Volksbad im Bewusstsein der Öffentlichkeit wachhalten.
Text erstellt durch Carmen Treiber mithilfe einer Mitschrift bei einer Führung durch den Verein „Geschichte für alle e. V.“ am 03.08.14.
Hallo Thomas!
Ein wunderbarer Bericht mit wunderbaren Aufnahmen. Schade, dass ich keine Zeit hatte, mitzugehen. Mein Lieblingsbild ist jenes:
http://www.treiber-ansbach.de/wordpress/wp-content/gallery/20140704_volksbad/volksbad-nbg-lp_20140803-150410-2.jpg
Vielleicht wäre auf dem ein oder anderen Bild noch ein Mensch ganz schön gewesen. Ja, das kommt natürlich aus dem Mund eines Street Photographers. 😉
Viele Grüße und bis bald!
Bernd
Der wahrscheinlich beste Bericht übers Volksbad im Netz.